Die Welt im Wandel: globale Erdbeben und ihre Auswirkungen 2023

Erdbeben erschütterten überall auf der Welt: im Februar in der Türkei und in Syrien, im September in Marokko, im November in Nepal und im Dezember in China. Erdbeben, Pandemien und Strommangellagen sind die bedeutendsten Risiken in der Schweiz. Obwohl Erdbeben seltener auftreten, können sie erhebliche Schäden verursachen. Der Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich hat in Zusammenarbeit mit verschiedenen Behörden und Partnern das erste öffentlich zugängliche Erdbebenrisikomodell für die Schweiz entwickelt, um die potenziellen Auswirkungen auf Personen und Gebäude zu untersuchen.

 

Interview mit Jürg Solèr, Direktor Assekuranz AR

Kann ein solches Erdbeben auch bei uns eintreten?
Bei einem Beben mit der Grössenordnung von 6.0 auf der Richterskala mit Epizentrum 10 km südöstlich von Herisau wäre dieses in weiten Teilen der Schweiz zu spüren. Mässige bis starke Schäden wären bei einem Erdbeben dieser Stärke in weiten Gebieten im Umkreis des Epizentrums zu erwarten. Bei diesem Szenario müsste man mit wenigen Toten, dutzenden Verletzten, hunderten Schutzsuchenden und Schäden von einigen Hundert Millionen Franken für den Kanton Appenzell Ausserrhoden rechnen. Die Schätzungen beruhen auf Annahmen und basieren auf dem Erdbebenrisikomodell der Schweiz (ERM-CH23). Mit einem solchen Szenario ist ca. alle 870 Jahre zu rechnen.

 
Sind Erdbeben bei der Assekuranz AR versichert?
Erdbebenschäden werden von der obligatorischen Gebäudeversicherung grundsätzlich nicht abgedeckt.
Die Assekuranz AR zahlt jedoch jährlich einen Betrag von ca. CHF 450'000 in den Erdbebenpool der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VKG) ein. Daraus könnten Schäden für ein Ereignis von zweimal CHF 2 Mrd. bezahlt werden. Pro Gebäude würde dies eine Soforthilfe von max. CHF 100'000 bei CHF 25'000 Selbstbehalt bedeuten.
 
Reicht diese Summe aus für eine volle Schadendeckung?
Nein. Diese Summe reicht aus, um bei einem schweren Erdbeben die notwendigen Sofortmassnahmen zu decken. Mehr nicht.
 
Ist eine Erdbebenversicherung sinnvoll?
Dies ist eine persönliche Risikoabschätzung. 44% des Vermögens eines durchschnittlichen Schweizer Haushalts stecken im Eigenheim. Heute bieten Privatversicherungen verschiedene Produkte an. Der Versuch, eine schweizweite Erdbebenversicherung einzuführen, scheiterte bisher.
 
Was waren die Gründe für das Scheitern?
Der Eigentümer ist nicht bereit, über viele Jahre eine hohe Versicherungsprämie zu bezahlen. Zudem besteht keine gesetzliche Grundlage für die Finanzierung von Privateigentum durch die öffentliche Hand – weder für Bund noch Kanton. Heute sind nur etwa 15% der Gebäude privat gegen Erdbeben versichert. Der Erst- und Rückversicherungsmarkt wäre gar nicht in der Lage, eine höhere Nachfrage nach Erdbebenversicherungen zu decken – oder nur mit stark steigenden Prämien. Aus diesem Grund wurde die Motion zur Eventualverpflichtung eingereicht (Vernehmlassung zur Eventualverpflichtung Erdbeben, vkg.ch).
 
Was ist eine Eventualverpflichtung und wie funktioniert diese?
Bei Eintritt eines Erdbebens wären die Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer verpflichtet, einen Betrag von maximal 0,7% der Gebäudeversicherungssumme zur Deckung von Gebäudeschäden zu entrichten. Damit käme nach einem Erdbeben eine Summe von CHF 44 Mrd. zusammen, welche die Gebäudeschäden decken sollte.
 
Wie geht es nun weiter?
Für die Einführung der Eventualverpflichtung soll der Bund in der Bundesverfassung explizit das Recht erhalten, Vorschriften zum Schutz vor Schäden infolge eines Erdbebens zu erlassen:
 
Artikel 74a, Erdbeben

  1. Der Bund kann Vorschriften erlassen zum Schutz von Menschen und Sachwerten vor Schädigungen im Zusammenhang mit Erdbeben.
  2. Das Gesetz verpflichtet die Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer, bei Eintritt eines Erdbebens einen Beitrag von maximal 0,7% der Gebäudeversicherungssumme zur Deckung von Gebäudeschäden zu entrichten.

Hierzu wurde eine Vernehmlassung gestartet, mit welcher der Bundesrat die Akzeptanz des Vorhabens abklären und dann die nötigen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorlagen erarbeiten kann.
 
Wer und wie wird entschieden, wie viel bei einem Erdbeben an die Geschädigten ausbezahlt wird?

Seit dem 13. Oktober 2023 ist die neu gegründete Schadenorganisation Erdbeben (SOE) einsatzbereit. Sie entstammt einem Public-Private-Partnership-Projekt. Sie wird getragen und finanziert durch die Kantone, das Fürstentum Liechtenstein, die Kantonalen Gebäudeversicherungen und die Privatversicherer. Die Schadenorganisation Erdbeben hat den Auftrag, nach einem Erdbeben umfassende Informationen bereitzustellen. Damit können Experten wie Bauingenieure, Architekten usw. beschädigte Gebäude beurteilen und eine Schätzung der zu erwartenden Wiederaufbau- und Reparaturkosten erstellen.